Musiker ist man 24 Stunden am Tag

Beim Benefizkonzert des Stolberger Musiksommers tritt Roman Verhees heute Abend im Zinkhütter Hof auf

STOLBERG – ROMAN VERHEES erhielt den ersten Geigenunterricht von seinem Vater. Als Konzertmeister und Solist musizierte er im Jugendsinfonieorchester Aachen und gewann mehrfach erste Preise beim Musikwettbewerb „Jugend musiziert“. Derzeit gehört er zur Meisterklasse von Prof. Zakhar Bron, russisch-sowjetischer Violinist und Violinpädagoge in Interlaken (Schweiz). Beim Benefizkonzert des Stolberger Musiksommers am heutigen Samstag spielt er im Museum Zinkhütter Hof die Sonate Nr. 3 für Violine und Klavier von Ludwig van Beethoven. Was das Faszinierende am Geige spielen ist, warum er seine Studien in der Schweiz aufgenommen hat und welche Möglichkeiten sich bieten, als Profimusiker zu arbeiten, erzählte er unserer Mitarbeiterin Marie-Luise Otten.

Was ist das Besondere an diesem Professor?
Roman Verhees: Die beste Antwort darauf gab der Geiger Daniel Hope, der bei Zakhar Bron Unterricht hatte: „Von dem phänomenalen Zakhar Bron unterrichtet zu werden, ist wie ein Hauptgewinn im Lotto.“ Bron gilt als der beste Geigenlehrer der Welt. Seine pädagogische Methode ist einzigartig, aber schwer zu beschreiben. Er denkt die technischen und musikalischen Anforderungen, die eine Musik dem Instrumentalisten abverlangt, zusammen. So wird erreicht, dass der Musiker alle bloß subjektiven und willkürlichen musikalischen Eingebungen hinter sich lässt und sich ganz in den Dienst der Musik selbst stellt.

Wie stellt man es als junger Instrumentalist an, dass er ihn in seine Akademie aufnimmt?
Verhees: Bron sucht die Schüler seiner Meisterklassen sehr sorgfältig aus. Bevor ein Schüler dort aufgenommen wird, spielt er ihm vor. Wenn ihn die Qualität des Spiels überzeugt, arbeitet er mit dem Schüler – zum Beispiel im Rahmen eines Meisterkurses – und entscheidet dann über die Aufnahme.

Wie viele Studenten bekommen Unterricht bei ihm? Und in welcher Sprache?
Verhees: Bron unterrichtet weltweit. Über Weihnachten war er in Berlin. Im vergangenen Jahr hat er während der Weihnachtstage in China unterrichtet. Er ist oft in Polen, Österreich, Spanien (dort hat er eine Professur an der „Escuela Superior de Musica Reina Sofia“), in Japan und in Russland. In Deutschland hatte er bis zu seiner Pensionierung einen Lehrstuhl an der Musikhochschule in Köln, in der Schweiz einen Lehrstuhl an der Musikhochschule Zürich. In Köln habe ich ihn mit seinen damaligen Schülern als Kind zum ersten Mal gesehen. Nach seiner Pensionierung hat er in Interlaken in der Schweiz die „Zakhar-Bron Akademie“ gegründet. Ich durfte bei der Gründung mit dabei sein und bin jetzt Student in seiner Meisterklasse. Wie viele Schüler Bron insgesamt hat, weiß ich nicht, weil er immer unterwegs ist. Aber ich kenne natürlich viele seiner Studierenden, die aus der ganzen Welt kommen. Er unterrichtet junge Musiker aus USA, China, Japan, Jamaika, Aserbaidschan, Ukraine, Südkorea, Türkei – und natürlich auch Studierende aus vielen westeuropäischen Ländern. Die Unterrichtssprache bei seinen zahlreichen russischen Schülern ist selbstverständlich russisch. Durch seine lange Tätigkeit in Deutschland (er ist 1989 mit seiner Meisterklasse aus Nowosibirsk nach Lübeck gekommen) spricht er auch deutsch und als dritte Sprache Englisch. Wir Studenten verständigen uns zumeist auf Englisch, da das die Sprache ist, die jeder zumindest etwas beherrscht. Wenn Bron Kinder aus Asien unterrichtet, sind immer deren Eltern anwesend, die auch etwas Englisch sprechen und ihren Kindern dann übersetzen, was er gesagt hat.

Gibt es bekannte Künstler, die bei Zakhar Bron Unterricht nahmen?
Verhees: Ja natürlich – der oben zitierte Südafrikaner und Engländer Daniel Hope, die Russen Maxim Vengerov, Vadim Gluzman, Vadim Repin, die Britin Chloe Hanslip und der Deutschamerikaner David Garrett, den ja in Deutschland wirklich jeder kennt. Aber es gibt noch viel mehr bekannte Musikerinnen und Musiker, die bei ihm studiert haben. Viele arbeiten in den großen Orchestern der Welt, sind Konzertmeister oder bekleiden eine Professur an einer Musikhochschule. Die Konzertmeister des Beethoven Orchesters Bonn, des WDR-Sinfonieorchesters und der Berliner Philharmoniker sind ehemalige Bron-Studenten. Einige seiner derzeitigen Studenten spielen schon jetzt als Solisten mit großen Orchestern.

Wie läuft der Unterricht ab? Sind es Blöcke oder wie muss sich der Laie das vorstellen?
Verhees: Das sind ganz normale Unterrichtseinheiten mit einer Dauer von etwa 45 Minuten. Es ist ein hochkonzentriertes Arbeiten, das sehr gut vor- und nachbereitet werden muss. Und obligatorisch ist bei Bron die Klavierbegleitung während des Unterrichts. In der Regel übernimmt das die Pianistin Frau Professor Irina Vinogradova. Sie begleitet die Bron-Schüler seit über drei Jahrzehnten. Sie war schon Repetitorin für Weltstars wie Vadim Repin und Maxim Vengerov, als diese noch Kinder waren. Bron und Vinogradova sind also ein gut aufeinander abgestimmtes Team, was natürlich den Schülern sehr zugute kommt.

Seit wann spielen Sie Violine?
Verhees: Ich habe als fünfjähriger Junge mit meinem Vater als Lehrer begonnen. Meine allererste Geige war eine uralte Achtel-Violine – eine Leihgabe des Stolberger Musiklehrers Klaus Lieck.

Welche anderen Instrumente noch?
Verhees: Im Rahmen meines Studiums musste ich auch Unterricht in einem so genannten Variant-Instrument – in meinem Fall die Viola – nehmen und die Ausbildung mit einer Prüfung abschließen. Und dann noch Klavier – das gehört zum Grundstudium dazu. Das muss einfach sein, weil man über das Klavier die Musiktheorie sehr gut verstehen kann. Das Klavier bietet die Darstellung der ganzen Musik, mit Harmonie und Polyphonie.

Wer stellt fest, dass jemand Musik-talentiert ist? Was macht das Talent aus?
Verhees: Der erste, der gesagt hat, dass ich talentiert sei, war mein Vater. Er hat das nach einer Woche Geigenunterricht zu meiner Mutter gesagt. Und man merkt es einfach selbst.

Was ist für Sie das Faszinierende an der Violine?
Verhees: Ich denke, dass das Klavier oder auch das Cello nicht weniger faszinierend sind als die Geige. Für mich hatte die Wahl der Geige eher etwas Zufälliges, aber ich hatte nie den Wunsch, ein anderes Instrument zu spielen.

Wann war Ihnen klar, dass Sie Berufsmusiker werden wollten?
Verhees: Da war ich etwa 13 oder 14 Jahre alt. Ich habe damals für die Geige den Sport (Leichtathletik) aufgegeben, um meine ganze Zeit und Konzentration der Geige zu widmen.

Wer waren Ihre Lehrer?
Verhees: Als ich zu Professor Bron kam, war das für mich wie ein Neuanfang… deswegen ist die Zeit vor Bron für mich Vergangenheit, die nicht mehr kommentiert werden muss.

Haben Sie ein Vorbild?
Verhees: Ein richtiges Vorbild habe ich nicht. Natürlich beschäftige ich mich mit Aufnahmen von Geigern wie David Oistrakh und Vadim Repin, die mir in bestimmten Phasen wichtige Impulse gegeben haben.

Was sind Ihre Lieblingsstücke?
Verhees: Ich habe keine Lieblingsstücke. Für einen Musiker ist die Auseinandersetzung mit Musik ja weniger gefühlsorientiert oder gar eine Frage des Geschmacks, sondern eher geistige Arbeit. Natürlich ist die kompositorische Qualität Beethovens etwas Besonderes für mich. Deshalb spiele ich seine Violinsonaten besonders gerne. Eine davon wird auf dem kommenden Benefizkonzert des „Stolberger Musiksommers“ zu hören sein.

Wie viel Stunden üben/proben Sie jeden Tag?
Verhees: Der gesamte Alltag ist vom Üben bestimmt. Ohne konzentriertes und diszipliniertes Arbeiten hat man keine Chance. Talent ist natürlich eine wichtige Voraussetzung, um als Musiker eine Perspektive zu haben, aber man kann noch so talentiert sein: Wenn man nicht hart arbeitet, bleibt es beim Hobby. Mir fällt dazu eine Anekdote ein, die den Sachverhalt treffend beschreibt: Im letzten Sommer übte ich in einem Hotelzimmer. Danach hielt mich auf dem Flur ein amerikanischer Hotelgast an und sagte: „I listened to you. You are incredibly talented.“ Kurze Zeit später traf ich eine Japanerin, die mich – in einem ganz anderen Tonfall – fragte: „Wie viele Stunden übst Du täglich?“

Wo haben Sie beruflich schon gearbeitet?
Verhees: Ich mache immer wieder neben dem Studium bei Projekten mit. So war ich eine Zeitlang zweiter Konzertmeister bei den „Mannheimer Philharmonikern“. Und ich bin derzeit Mitglied des „Zakhar Bron Chamber Orchestra“. Mit diesem Kammerorchester durfte ich schon in der Berliner und in der Kölner Philharmonie spielen. Außerdem treten wir in jedem Frühjahr mit mehreren Konzerten beim „Interlaken Classics Festival“ auf. Das sind schon Highlights des Studiums. Gelegentlich sage ich Engagements als Solist zu, so wie jetzt für das Benefizkonzert des Stolberger Musiksommers. Aber es ist nicht leicht für mich, Termine verbindlich zu vereinbaren, weil die Termine in der Schweiz immer Vorrang haben müssen. Die erfahre ich aber oft nur kurzfristig.

Wo kann ein Violinist arbeiten? Im Orchester oder als Musiklehrer?
Verhees: Der ureigentliche Arbeitsplatz eines Geigers ist zunächst mal der Platz als Mitglied eines Orchesters. Man kann beruflich auch als Musiker in einem professionellen Kammermusikensemble arbeiten. Manche Musiker versuchen, sich als Solist eine Existenz aufzubauen. Dann ist man als Freiberufler eben auf Engagements angewiesen, die möglichst gut dotiert sein müssen. Das wiederum bedeutet, dass man an eine Agentur angebunden ist, die das Geschäftliche und das Organisatorische regelt. Als Solist ist man viel unterwegs und lebt gewissermaßen „aus dem Koffer“ – mal mehr, mal weniger komfortabel. Man kann natürlich auch als Instrumentalpädagoge an einer Musikschule oder vielleicht sogar an einer Musikhochschule arbeiten.

Wie muss sich der Laie das Leben eines Profimusikers überhaupt vorstellen?
Verhees: Wenn man mit einem „Nine-To-Five“–Job seinen Lebensunterhalt verdienen will, sollte man es lieber nicht als Berufsmusiker versuchen. Man muss täglich üben, alleine schon, um technisch versiert zu bleiben. Man muss mit anderen Musikern im Orchester oder im Ensemble proben. Und wenn andere frei haben – üblicherweise abends – finden die Konzerte statt. Das bedeutet, dass ein Berufsmusiker von morgens bis spätabends mit seiner Arbeit beschäftigt ist. Darüber hinaus muss man sich mit neuer Literatur beschäftigen, man muss seine künstlerische Identität reflektieren, und man muss für seine körperliche und seelische Gesundheit Sorge tragen. Dazu gehört auch zu wissen, wann man Pause machen muss… Mental ist man eigentlich 24 Stunden täglich Musiker.

Was raten Sie jungen Leuten, die ein Instrument spielen, aber keinen Spaß mehr daran haben? Sollen sie aufhören oder sich dadurch quälen?
Verhees: Das Sich-Quälen gehört meines Erachtens dazu. Als Kind hat man keine große Lust zu üben, wenn noch Hausaufgaben zu machen sind oder eine Klausur vorbereitet werden muss. Man muss bereit sein, vieles aufzugeben, wenn man Fortschritte machen will. Aber das Erlernen eines Instruments und eine intensive Beschäftigung mit ernster Musik kann ein großer Gewinn sein. „Aufhören“ – das würde ich mir genau überlegen und alles versuchen, um die Frustzone zu überwinden. Sowas schafft man nicht gut alleine. Man braucht Unterstützung – vom Lehrer, aber auch von der Familie.

 

Mit freundlicher Genehmigung aus den Stolberger Nachrichten vom 9. März 2019

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